„Kannst du da mal schnell drüberlesen?“

Veröffentlicht am 14. Februar 2021
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Verfasst von Annegret Scholz

„Kannst du da mal schnell drüberlesen?“

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz in meinen sechs Jahren vor Ort bei einer großen Werbeagentur gehört habe. Unzählige Male. Meist aus dem Mund von Praktikant*innen oder Trainees, die mich mit großen unschuldigen Augen angeschaut haben.

Im Allgemeinen waren sie es nämlich, die mit den hypereiligen Texten – die eigentlich schon seit einer Stunde im Druck hätten sein sollen – zu uns ins Lektorat geschickt wurden. Damit wir vor Druckfreigabe noch „mal schnell drüberlesen“.

Klar, ich kann über einen Text auch „schnell drüberlesen“, aber Korrektur gelesen oder gar lektoriert ist er dann noch lange nicht. Dazu gehört nämlich ein bisschen mehr als „mal schnell drüberlesen“.

Auch wenn es „nur ganz wenig Text“ ist …

… muss jedes einzelne Wort auf Rechtschreibfehler überprüft werden – und auf die vom Kunden gewünschten Abweichungen von den amtlichen Regeln, versteht sich. Jeder Satz muss auf Grammatikfehler kontrolliert werden sowie auf überflüssige oder fehlende Satzzeichen.

Wenn es Trennungen gibt, sollen diese nicht nur richtig, sondern auch gut lesbar sein. Doppelte Leerzeichen müssen raus, zwischen Zahl und Prozentzeichen gehört aber natürlich ein Abstand rein. Und das (falsche) Akzentzeichen in „stimmt´s“ ersetzen wir noch schnell durch einen (korrekten) Apostroph: „stimmt’s“.

Inhaltlich sollte der Text selbstverständlich auch Sinn ergeben

Dafür sind in der Agentur zwar eigentlich die Texter*innen zuständig, aber manchmal sehen die halt auch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Also hat man auch darauf ein Auge.

Wenn der Text in all diesen Punkten passt, ist man aber noch lange nicht fertig mit dem „Drüberlesen“.

Jetzt geht es an die Formatierungen

Steht die Headline wie vom Kunden gewünscht mit Punkt? Ist die Subline versal? Und der Name des neuen Produkts überall fett? Wurden bei der Aufzählung die richtigen Bulletpoints verwendet? Und steht das Euro-Zeichen im Störer auch wirklich hinter dem Betrag oder versehentlich davor?

Hat die Fußnote einen Punkt am Ende und ist die Telefonnummer so gruppiert, wie es im Wording-Handbuch des Kunden festgelegt ist? Ach so, der Claim! Der steht hier ja noch in der alten Version mit Punkt. Da möchte der Kunde aber jetzt immer ein Ausrufezeichen haben, das wirkt dynamischer!

Schließlich noch ein letzter Kontrollblick

Hab ich alles angeschaut? An alles gedacht? Nicht doch noch irgendwo irgendwas übersehen? Gut, dann bin ich jetzt wohl fertig mit dem „Drüberlesen“.

Übrigens: Auch wenn ein richtiges Lektorat ein bisschen länger dauert als „mal schnell drüberlesen“ – wenn die Zeit drängt, geht es trotzdem turboschnell. Das gehört für uns Werbelektor*innen ja mit zum Job. Für einen ganz kurzen Text brauchen wir dann vielleicht nicht fünf Minuten, sondern fünfzehn – dafür passt aber am Ende auch alles. Und darauf kommt es schließlich an. Oder?

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2 Kommentare

  1. Liebe Annegret, danke für deine tollen Erklärungen! Sachlich und doch mit einem kleinen Augenzwinkern, verständlich rübergebracht (zusammen oder auseinander geschrieben?).
    Ich freue mich schon auf die Aufklärung weiterer sprachlicher Zweifelsfälle.

    Antworten
  2. Hallo,

    ich bin durch Zufall – an selbigen ich nicht glaube – auf deine Seite gestoßen.
    Bietest du Newsletter an?
    Vielen Dank im Voraus.
    Beste Grüße,
    Tina Sziber

    Antworten

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